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Rezension | Theresa Hannig – König und Meister

„Sie hatten sich Wunden zugefügt, die nie ganz verheilt waren, hatten Worte gesagt, die man zwar verzeihen, aber nie vergessen konnte. Wie Schwermetall, das sich im Körper langsam und unaufhaltsam anreichert und ihn schlussendlich vergiftet, so sammelten sich auch die Rückstände ihrer Auseinandersetzungen immer weiter an.“


Inhalt

Ada König und ihr Vater Frank König sind auf dem Weg nach Hause, als er das Lenkrad herumriss und Adas Welt sich plötzlich verändert. Sie wird gezwungen, sich mit ihrer Familie auseinander zu setzen, denn ihr Vater wollte ihr vor dem Unfall noch etwas Wichtiges mitteilen – doch dazu kam es nie. So zieht Ada wieder in das Haus ihrer Kindheit, das inzwischen fast vollständig vom Meister vereinnahmt wird und der seine Walnüsse überall im Garten verteilt. Doch nicht nur die Nachricht ihres Vaters bereitet ihr Kopfzerbrechen, auch der verbrannte Mann, der sie seit dem Unfall verfolgt und die alte Nachbarin, die sich an nichts erinnert außer ihrer Aufgabe, die Walnüsse zu sammeln. Als Ada schon fast verzweifelt, bekommt sie Hilfe von einer unerwarteten Seite …


Meinung

Das Setting.

In „König und Meister“ entführt Theresa Hannig den Leser ausnahmsweise mal nicht in ferne Welten wie sie es in ihren Büchern normalerweise macht. Peining liegt in Deutschland, ein kleiner verschlafener Ort, wie man ihn hundertfach kennt. Viele Einfamilienhäuser, eine Nachbarschaft, die sich zumindest dem Namen nach bekannt ist und die untereinander so ihre Kabbeleien haben – sei es über bauliche Vorhaben oder einfach, weil der Nachbar der Nachbar ist. Einerseits erscheint es beim Lesen dadurch alles so bekannt und heimelig, besonders für die Leser, die in einer Kleinstadt aufgewachsen sind, andererseits bemerkt man dennoch, dass es unter der Oberfläche immer mehr brodeln kann, als es auf den ersten Blick den Anschein macht.

Der Stil.

Theresa Hannig präsentiert in diesem vom Verlag als Mysterythriller bezeichneten Buch eine sehr interessante Genremischung: viel Mystery, eine große Prise Thriller, ziemlich viel Familiendrama sowie Gesellschafts- und Charakterstudie, aber auch etwas leicht phantastisches, das so schwer zu fassen ist, dass man sich beim Lesen nicht sicher ist, ob es wirklich da ist oder eher nicht. Dennoch kommt die Geschichte recht ruhig daher, ohne an Spannung einzubüßen. Der Thrilleraspekt ist psychologischer Natur, sehr punktuell ausgearbeitet und ging bei mir durch den Schreibstil stark unter die Haut. Interessant war auch die wechselnde Wahl der Perspektiven, die maßgeblich zur Atmosphäre beitrugen.

Die Charaktere.

„König und Meister“ glänzt durch einen kleinen Cast, durch eine Handvoll Figuren, die im Mittelpunkt der Geschichte stehen. Etwas zu groß für ein klassisches Kammerspiel, aber begrenzt genug, um die Übersichtlichkeit durch die Charaktere zu gewährleisten und dem Leser dadurch einen Ankerpunkt in der Geschichte zu geben. Ein weiterer Effekt, der wahrscheinlich viel zu dem Thrilleranteil beigetragen hat, ist die Intensität, die durch die Konzentration auf die wenigen Figuren hervorgerufen wird. So kann der Leser komplett in diese Geschichte rund um Ada und ihre Familie eintauchen, ohne zu vielen störenden Nebencharakteren von außen ausgesetzt zu werden.

Ada König hat es mir mit ihrer Persönlichkeit ein wenig schwer gemacht. Sie ist eine junge Frau, mittelmäßig erfolgreich in ihrem Job, weniger erfolgreich in ihrem Privatleben, etwas, das ihr irgendwie zu schaffen macht, aber von dem sie möchte, dass es ihr nichts ausmacht. Ada versucht sich aufgrund diverser Vorkommnisse in ihrer Vergangenheit von ihrer Familie zu distanzieren. Ihre Mutter verließ sie und den Vater recht früh in ihrer Kindheit, aus Karrieregründen, wie Ada annimmt. Die junge Frau scheint sowohl ihrer Mutter Schuld zuweisen zu wollen als auch ihrem Vater, der in ihren Augen kein einfacher Mensch ist, da er Verhaltensweisen an den Tag legt, die sie und viele Menschen in seinem Umkreis als nervend, unangenehm und verletzend empfinden. Sie traut sich aber nicht diese Probleme in der Familie anzusprechen und lebt daher ein recht einsames und abgeschottetes Leben. Als es zu dem Unfall kommt, bemerkt sie dies besonders stark. Außerdem muss sie sich gezwungenermaßen mit der Vergangenheit ihrer Eltern auseinander setzen, eine Aufgabe, um die Ada am liebsten einen großen Bogen machen würde.

Frank König, oft auch einfach nur der König genannt, ist Adas Vater und pensionierter Schuldirektor. Er wohnt inzwischen allein im Haus in Peining, seine einzige Gesellschaft sind eine Katze und der große Walnussbaum im Garten, der nicht nur das äußere Erscheinungsbild des Grundstücks dominiert. Der König ist kein sehr beliebter Mann, da er immer wieder durch seine pedantische Art den Unmut der Nachbarschaft auf sich zieht. Dennoch scheint er auf seine Weise an seiner Tochter zu hängen.

Adas Mutter hingegen ist eine Karrierefrau, die gelernt hat, sich durchzubeißen. Sie wirkt kalt und distanziert, hat sich diese Schale aber aus bestimmten Gründen zugelegt, unter anderem auch, um in ihrem männerdominierten Berufsfeld nach oben zu kommen.

Die Nachbarin Else verdient definitiv auch noch eine Erwähnung von mir. Nicht nur, weil sie eine wichtige Figur ist, sondern auch weil ich sie irgendwie in mein Herz geschlossen habe. Außerdem erhält Ada bei ihren Nachforschungen unerwartete Hilfe, zu der ich nur sagen kann, dass mich dieser Charakter wohl mit am meisten beschäftigt hat. Alles andere sollte vor der Lektüre im Dunkeln bleiben.

Die Figurenkonstellation ist so ausgearbeitet, dass sich die gesamte Geschichte um die Familie König herum ausbreitet und sich gleichzeitig aber auch auf sie konzentriert. Dadurch wurde ich beim Lesen an manchen Stellen an ein Familiendrama erinnert, das aber in „König und Meister“ sehr viel komplexere Züge annahm, als ich zuerst vermutete.

Die Geschichte.

„König und Meister“ weckte mein Interesse schon in der Ankündigung des Verlages. Natürlich ist mir als erstes das Cover ins Auge gestochen, das ebenso wie der Klappentext wunderbar gemacht ist, aber dennoch eigentlich nichts über den Inhalt aussagt. So hatte ich kaum Erwartungshaltung, viel Neugier und absolut keine Ahnung, worauf ich mich einließ. In der Zusammenfassung werden keine Aussagen über die Zeit und die Welt getroffen, in der wir uns befinden und ich wurde durch das doch bekannt anmutende Setting der deutschen Kleinstadt überrascht.

Meine schon erwähnten Schwierigkeiten mit Ada warm zu werden, hatte ich besonders am Anfang. Nach und nach hat die Geschichte aber eine solch enorme Sogwirkung entwickelt und mich so in ihren Bann gezogen, dass sie mich dann erst mit der letzten Zeile wieder freigab. Zumindest aus ihren Zeilen, losgelassen hat sie mich noch eine Weile nicht.

Die Geheimnisse, die sich rund um Adas Familie ranken, haben mich in ihren Bann gezogen. Was als Suche nach der Frage, was Adas Vater ihr an dem Tag des Unfalls eigentlich sagen wollte, anfing, wurde zu einer ganzen Spirale aus Geheimnissen, alten Wunden, Lügen und unausgesprochenen Worten. Mir ging die Geschichte an einigen Stellen sehr nah, fast zu nah, auch wenn man es am Anfang nicht vermuten mag, ist die Bezeichnung Thriller in dieser Hinsicht mehr als passend und nichts für schwache Gemüter. Theresa Hannig spielt mit dem Leser, führt ihn auf falsche Fährten und lässt ihn Dinge sehen, von denen er nicht weiß, ob sie existieren oder nur auf Adas Vorstellungskraft zurückzuführen sind. Besonders hervorheben möchte ich hier den Walnussbaum, der eine zentrale Rolle spielt, die sich mir erst spät in der Geschichte zur Gänze erschloss. So erschütternd „König und Meister“ an vielen Stellen für mich war, hat es mir doch eine riesige Freude bereitet die Geschichte erleben zu können.

Das Fazit.

Theresa Hannig zeigt mit diesem fesselnden Mysterythriller, dass sie als Autorin nicht nur im Science-Fiction-Bereich zu überzeugen weiß. „König und Meister“ zieht den Leser immer tiefer in seinen Bann, verwirrt seine Sinne und spielt mit der eigenen Vorstellungskraft. Die Geschichte schlingt sich wie Äste um den Leser und lässt einen erst lange nach der Lektüre wieder los.


Fakten

(Werbung, unbezahlt)

Verlag: Edition Roter Drache

Erscheinungsdatum: Februar 2021

ISBN: 9783968150147

Preis: 15 €

Hardcover, 320 Seiten

weitere Formate: eBook und Hörbuch

Genre: Mysterythriller

Über die Autorin

Theresa Hannig wurde 1984 in München geboren und studierte Politikwissenschaften, Philosophie und VWL. Sie arbeitete unter anderem im Bereich Softwareentwicklung und IT-Sicherheit. Theresa Hannig ist durch ihre gesellschaftskritischen Science-Fiction-Romane bekannt, unter anderem „Die Optimierer“, der den SERAPH 2018 für das beste Debüt gewann.


Zitat auf Seite 63 der eBook-Ausgabe

Die Urheberrechte der verwendeten Zitate liegen beim jeweiligen Rechteinhaber.

Anzeige. Dieses Buch wurde mir von der Autorin als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt – vielen Dank hierfür. Meine Rezension wird hiervon nicht beeinflusst.

Content-/Triggerwarnungen (kein Anspruch auf Vollständigkeit):
Verkehrsunfall, Essstörung, Totgeburt

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