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Gedanken einer Büchersüchtigen. Leipzig in schwarz – Emotionen, Lesungen, WGT 2018.

Leipzig nenne ich nicht nur meinen Wohnwort, es ist auch seit vielen Jahren der Ort, an dem mein Herz zu Hause ist.

Ein Grund dafür ist das jährlich zu Pfingsten stattfindende Wave-Gotik-Treffen. Eigentlich ein Musikfestival der sogenannten schwarzen Szene, ist es in den letzten Jahren eine kulturelle Veranstaltung geworden, die jegliche Kunst vereint, die die Subkultur zu bieten hat. Daher ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass an allen Tagen nicht nur Vorträge, teilweise sogar wissenschaftlicher Art, stattfinden, sondern auch Lesungen verschiedenster Autoren. Diese rechnen sich entweder selbst der Szene zu oder wurden liebevoll von den Menschen adoptiert.

Jedes Jahr zu Pfingsten öffnet Leipzig also seine Arme und empfängt in der ganzen Stadt Menschen, die in all ihren dunkelbunten Schattierungen die Umgebung in ein wohliges Schwarz hüllen. Ein über die ganze Stadt stattfindendes Festival, das vollkommen friedlich abläuft und für Dialoge sorgt, die sonst nie zu Stande gekommen wären. So sitzt auch mal der neugierige Renter neben dem Mann in Lack und Leder und der Dame im viktorianischen Gewand.

Für mich als Büchersüchtige sind natürlich die Lesungen besonders interessant. Jedes Jahr nehmen Literaturliebhaber die irrsinnigsten Wartezeiten für ihre liebsten Autoren in Kauf um auch ja ein kleines bisschen der Stimme lauschen zu können. Da wird dann auch mal, so wie just in diesem Moment, einfach improvisiert. Ich befinde mich gerade in den Räumen des VEID e.V. (Bundesverband Verwaister Eltern und trauernder Geschwister) und vertreibe mir die Wartezeit am Fenster sitzend, schreibend und Kaffee schlürfend. Hunderte Leute warten auf Lydia Benecke, Kriminalpsychologin und Bestseller-Autorin, die spontan ihren Vortrag auf die Straße verlegt. In „Die Schöne und das Biest, Twilight und Co. – Ungesunde Liebesbeziehungen in Märchen.“ referiert Frau Benecke in einem kurzweiligen Vortrag unter anderem über die namensgebenden Geschichten und die Beziehung der bekannten Pärchen in ebendiesen.

Doch nicht nur Lydia Benecke ist vor Ort. Die Bestsellerautoren Markus Heitz und Mark Benecke sind ebenso gern gesehene und beliebte Gäste.
Dr. Benecke mit seinen Forensik-Vorträgen auch außerhalb der Szene vielen ein Begriff. Mit verschiedensten Themen tourt er durch Deutschland und bringt den Menschen auf sympathische Art und Weise eine doch recht unbekannte Wissenschaft nahe.
Markus Heitz, saarländischer Phantastik-Autor, liest aus seinem aktuellen Buch „Die Klingen des Schicksals“, welcher im März diesen Jahres erschienen ist. Wie man es von Heitz kennt, füttert er die Zuhörer mit spannenden Szenen und hört immer dann auf, wenn es am Schönsten ist – dramaturgische Gründe, natürlich. Außerdem stellte er kurz das Konzept seines neuesten Projektes vor. Im Oktober bringt er gleich drei Romane auf den Markt, alle Teil von „Doors“. Das Projekt, deren zentraler Bestandteil die namensgebenden Türen ist, läuft aber schon eher an. Ab August werden kostenfrei Kurzgeschichten digital verbreitet, die unter anderem Aufschluss über die Vorgeschichte geben werden. Die drei Romane schließlich stellen drei verschiedene Szenarien dar. Der Leser entscheidet sich also, ob er nur einem folgen möchte oder allen. Ich jedenfalls bin sehr darauf gespannt und freue mich einfach schon mal auf den Herbst.

Auch unbekannteren Autoren wird eine Bühne gegeben – M. Kruppe zum Beispiel, dem man den ostdeutschen Kleinstadtpunk irgendwie anmerkt (ich weiß wovon ich rede, been there, done that), gibt seine Gedichte und Kurzgeschichten mit bedeutungsschwerer Stimme zum besten. „Und in mir Weizenfelder“ ist sein neuestes Werk, Poesie aus dem Alltag gegriffen.

In stimmungsvoller Umgebung des heidnischen Dorfes trifft man dann auch auf bekannte Größen aus der eigenen Jugendzeit – Luci van Org, vielen wohl eher noch bekannt als Lucilectric (also zumindest die unter euch, die die 90er bewusst musikalisch miterlebt haben, dürften wissen, von wem ich rede), liest aus ihrer Neuerzählung der Edda. „Die Geschichten von Yggdrasil“ arbeiten die nordische Mythologie familienfreundlich auf und werden durch die Stimmung des Dorfes und Lucis wunderbarer, kraftvoller Stimme zu etwas ganz Besonderem gemacht.

Doch was wäre das WGT ohne den liebsten adoptierten Schriftsteller, den die Szene wohl je gesehen hat. Christian von Aster schafft es immer wieder die vollen Säle zu unterhalten. Und das obwohl er jedes Jahr Grufti-Glossen zum Besten gibt, in denen er die Szene verhöhnt – aber dies sehr liebevoll und mit einem Augenzwinkern. Seine Zuhörer wissen das. Sie sind wohl auch gerade deswegen gekommen. Nicht umsonst wird der Grufti-Szene ja gerne die Nähe zum Masochismus unterstellt. Doch auch ernste Themen werden angesprochen. Texte aus dem „Orkfresser“, die durchaus kritisch mit der Literaturbranche umgehen und dennoch eine tiefe Liebe zur Literatur und Phantastik in sich tragen, reihen sich an Texte über psychische Erkrankungen. In „Mehr Traurigkeit als Platz dafür“ spricht von Aster offen über seinen Umgang mit der Depression. Denn auch dafür ist hier Platz – für Ernsthaftigkeit und Emotionen. Und für die ein oder andere Träne beim Zuhörer. Denn live ist dieser Text eine noch größere Herausforderung an die, denen dieses Thema nahe geht.

Das ist auch einer der Gründe, warum ich dies mit euch teile und weswegen ich mir jedes Jahr aufs Neue gerne die Füße wund warte. Bei keiner anderen Lesung kann man eine solche Atmosphäre aufsaugen. Literatur wird greifbar, erlebbar, durch ein Publikum, das dem Autor an den Lippen hängt und Emotionen spiegelt. Die Gefühle sind rau und hängen im Raum nach, denn trotz aller Eitelkeiten der Szene ist hier immer noch Platz dafür. Denn Pfingsten in Leipzig ist für viele jedes Jahr wie nach Hause kommen und Familie treffen – anders lässt sich dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit nicht beschreiben. Für mich ist es aber noch ein bisschen mehr – auf der Buchmesse kann ich Autoren zwar zuhören. Auf dem WGT aber kann ich ihre Geschichten fühlen. Das ist ein ganz eigener Zauber, den ich bisher nirgends sonst erleben konnte.

Am Ende dennoch eine kleine Empfehlung an euch: da die meisten wahrscheinlich nie zum WGT nach Leipzig kommen werden, möchte ich euch Folgendes nahe legen. Wann immer ihr die Chance habt, einen der Autoren, die ich hier aufführe oder euch unten in einer Übersicht nach und nach verlinke, live erleben zu können, ergreift die Gelegenheit. Es lohnt sich und ihr werdet dort bestimmt auch die ein oder andere schwarz gewandete Gestalt erblicken können.

Jetzt werde ich mich weiter dem Festivalgeschehen widmen und freue mich auf weitere Tage zwischen Literatur, Kultur, Musik und Zusammengehörigkeit.

 

Das Literaturprogramm des WGT verlinke ich euch in den kommenden Tagen.

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