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Kurzrezension | Guillermo Martinez – Der Fall Alice im Wunderland

„‚Der König‘, antwortete Seldom, ‚würde sagen, fangen Sie mit dem Anfang an, machen Sie bis zum Ende weiter, und dort hören Sie auf.'“


Inhalt

Kristen Hill ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in Oxford und studiert im Auftrag der Lewis-Carroll-Bruderschaft die Tagebücher des Autors, um Hinweise auf den Verbleib einiger verschollener Seiten zu finden. Doch bei ihrer Recherche stößt sie auf etwas viel Spektakuläreres – eine dieser Tagebuchseiten selbst taucht wieder auf! Doch bevor sie auf Echtheit geprüft werden und die Bruderschaft damit an die Öffentlichkeit gehen kann, wird Kirsten schwer verletzt aufgefunden. Dem berühmte Logik-Professor Arthur Seldom ist als Mitglied der Bruderschaft sehr an der Aufklärung dieses Unfalls gelegen und so macht er sich zum zweiten Mal mit dem jungen argentinischen Doktoranden G. auf die Suche nach der Lösung des Falls. Doch sie müssen sich beeilen, denn der Täter fängt an zu morden. Und sein Muster ist mehr als ungewöhnlich – die sind alle durch das literarische Werk von Lewis Carroll inspiriert.


Meinung

„Der Fall Alice im Wunderland“ ist der zweite Fall für Arthur Seldom und den Doktoranden G. Ein Jahr ist seit den Ereignissen aus „Die Oxford-Morde“ vergangen, der junge Argentinier G. befindet sich immer noch in Oxford und in der Zwischenzeit ist einiges passiert. Was genau, das erfährt der Leser im Schnelldurchlauf, wodurch der Einstieg in den eigentlichen Fall zwar langsam erfolgt, aber dafür ist es möglich diesen Roman eigenständig lesen zu können, ohne das Gefühl zu haben, etwas zu verpassen.

Der Schreibstil von Guillermo Martinez versetzt den Leser in die richtige Atmosphäre: durch seine eigenen Erfahrungen als Argentinier in Oxford hat man immer das Gefühl auch wirklich im Kopf des Doktoranden G. zu stecken. Nichts wirkt aufgesetzt, und auch eine gewisse Neutralität fließt mit ein, ein analytisches Denken, das man sich bei einem studierten Mathematiker gut vorstellen kann. Dadurch ist „Der Fall Alice im Wunderland“ zwar ein bisschen Cosy Crime, aber auch viel weniger heimelig, als ich es gewohnt bin.

Leider liegen in diesem analytischen Denken auch meine Kritikpunkte.
Die Charaktere bleiben recht blass für mich, da das Augenmerk nicht so sehr auf den Charakterzügen lag, sondern mehr auf dem akademischen Hintergrund und dem Wissen, dass die Figuren in die Geschichte einbringen können. So kam mir Seldom manchmal wie ein Lexikon auf zwei Beinen vor, das immer dann ins Bild lief, wenn Hintergrundinformationen notwendig waren. Auch G. blieb für mich nicht ganz greifbar. Ich habe nur eine ganz grobe Vorstellung von ihm, da er selbst als Erzähler und Hauptfigur oft zu passiv blieb.
Außerdem ist ein gewisses Interesse für Mathematik, Logik und – in diesem Fall – auch der Literaturgeschichte von Vorteil, da sich einige Passagen sonst ein wenig in die Länge ziehen können.

Sehr interessant, aber auch diskussionswürdig, empfand ich die Einbindung der biographischen Hintergründe von Lewis Carroll. Der vorliegende Kriminalfall ist keine verdrehte „Alice im Wunderland“ Adaption, wie man aufgrund des Klappentextes eventuell annehmen mag, sondern beschäftigt sich mit den eher dunklen Flecken des Lebens des Autors. Diese sind bekannt, wenn man sich ein wenig mit der Biographie von Lewis Carroll und der Entstehung von „Alice im Wunderland“ auseinandergesetzt hat, wenn nicht, dann könnte man eine recht große und eventuell unangenehme Überraschung erleben.

(Hier füge ich vorsichtshalber eine Spoilerwarnung ein und verstecke diesen Teil der Rezension.)

Die Pädophilievorwürfe gegenüber Carroll werden in diesem Buch sehr ausführlich thematisiert. Diese beruhen unter anderem auf seiner Beziehung zu den Töchtern der Familie Liddell, zu denen auch Alice gehörte, und auf seiner Vorliebe junge Mädchen zu fotografieren. Es wird viel darüber diskutiert, ob und wie weit die Fotos die Vorwürfe untermauern oder ob sie als Kunst anzusehen sind. Ein sehr schwieriges Thema, das auch die Lektüre an manchen Stellen nicht gerade einfach macht.
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Trotz meiner Kritikpunkte ist „Der Fall Alice im Wunderland“ ein lesenswerter Kriminalroman, der wie eine Mischung aus Cosy Crime und mathematisch-literarischem Sachbuch anmutet. Der Fall lädt zum Miträtseln ein und vermittelt gleichzeitig noch interessantes Wissen, das den Leser mal einen anderen Blick auf das Fachgebiet der Mathematik werfen lässt.


Fakten

(Werbung, unbezahlt)

Verlag: eichborn

Erscheinungsdatum: 29.05.2019

ISBN: 9783847900467

Preis: 16,- €

Klappenbroschur, 320 Seiten

weitere Formate: eBook

Genre: Kriminalroman

Über den Autor

Guillermo Martinez wurde 1962 in Bahia Blance, Argentinien, geboren. Der in Buenos Aires lebende, promovierte Mathematiker verbrachte zwei Jahre seiner Doktorandenzeit in Oxford. Für „Die Oxford-Morde“ wurde er mehrfach ausgezeichnet, dieser Roman wurde unter anderem mit Elijah Wood verfilmt.

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