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Rezension | Leonie Swann – Mord in Sunset Hall

„Agnes riss die Augen auf und starrte in Hetties weises Schildkrötengesicht. Hettie war das jüngste Mitglied ihrer WG, gleichzeitig aber auch das vernünftigste. Manchmal gab das Agnes schon zu denken.“


Inhalt

Willkommen in der wohl skurrilsten Senioren-WG Englands!
Agnes Sharp wohnt schon ihr ganzes Leben in diesem kleinen Dorf in der englischen Provinz. Und auch ihren Lebensabend möchte sie in ihrem Heim verbringen, einem hübschen Häuschen mit Garten, unabhängig und selbstbestimmt. Auf keinen Fall in diesem unsäglichen Seniorenheim, dem Lindenhof. Doch ganz allein ist alt werden auch nicht schön. Nach reiflicher Überlegung schließt sie sich mit anderen Senioren zusammen und gemeinsam trotzen sie nicht nur allen Vorurteilen aus dem Dorf, sondern auch ihren ganzen Alterszipperlein. Doch dann gibt nicht nur der Treppenlift den Geist auf, es liegt auch noch eine Tote im Schuppen. Und eine weitere im Nachbarsgarten. Irgendjemand scheint es auf ältere Damen abgesehen zu haben. Das können Agnes und ihre Mitbewohner nicht auf sich beruhen lassen und sie begeben sich auf Spurensuche, die sie nicht nur zum örtlichen Kaffeetreff führt, sondern auch in ihre eigene Vergangenheit …


Meinung

Der Stil. 

Leonie Swanns Kriminalromane sind immer ein besonderes Erlebnis für mich. Unaufgeregter Cosy Crime mit subtilem schwarzem Humor und Situationskomik, dennoch mit ernsten Anklängen und leichten Schauerelementen. Nichts wird überstürzt oder übers Knie gebrochen, es ist gemächlich, dennoch spannend und rätselhaft.

Auch „Mord in Sunset Hall“ ist sehr atmosphärisch, Charaktere und Setting entfalteten sich vor meinem inneren Auge und ich konnte mich in die Geschichte fallen lassen, war dabei und habe mit Agnes zusammen über ihre Hüfte geschimpft, Edwina beim Yoga zugeschaut und mit Bernadette Cremehütchen genascht.

Erwähnen möchte ich noch die wirklich charmanten Kapitelüberschriften, die einen kulinarischen Anstrich haben – und auf ein Gericht hindeuten, das in den nächsten paar Seiten eine Rolle spielen wird.

Das Setting.

Das Setting ist eher begrenzt, was sehr gut zu den Protagonisten passt, denn wirklich gut zu Fuß ist hier keiner mehr. Der Leser wird in ein beschauliches, englisches Dorf entführt. Alles erscheint etwas austauschbar – seltsame Busfahrpläne, das große Anwesen, das Seniorenheim, der Kaffeetreff. Wäre da nicht die Senioren-WG in Sunset Hall. Ein Häuschen, das mit einem Treppenlift und einem schönen Garten ausgestattet, mehreren in die Jahre gekommenen Menschen ein Zuhause bietet. Leonie Swann schildert diesen Ort einfach wundervoll, und die Idee hat dahinter hat mich sehr überzeugt, ebenso wie die Hintergründe, die erst nach und nach aufgedeckt werden. Die stereotypen Beschreibungen des Dorfes, die Austauschbarkeit hat mich, obwohl es auf den ersten Blick abgeschmackt erscheinen mag, nicht gestört, im Gegenteil. Je weiter man in der Geschichte voran schreitet, desto mehr passt genau dieses Setting dazu.

Die Charaktere.

Agnes Sharp
Protagonistin, irgendwo jenseits der 80, körperlich etwas eingeschränkt durch ihre Hüftschmerzen. Sie ist die Besitzerin von Sunset Hall und hat ihr gesamtes Leben dort verbracht. Agnes ist scharfsinnig, eine sehr starke Persönlichkeit und eher eine Einzelgängerin, die ein paar Probleme hat, anderen Menschen zu vertrauen. Sie steht vor den Herausforderungen des Alters, die sie manchmal ein wenig verzweifeln lassen und sie zu überwältigen drohen. Sunset Hall ist für sie die Garantie, einen selbstbestimmten Lebensabend mit Gleichgesinnten zu verbringen.

Hettie
Die WG-Schildkröte, die Agnes in ihrer Persönlichkeit erschreckend ähnlich ist.

Die Senioren-WG
Alle Bewohner sind liebevoll detailliert ausgearbeitet und beschrieben. Keiner bleibt blass oder hinter den anderen zurück, ich hatte beim Lesen das Gefühl sie richtig kennenzulernen und war ein bisschen traurig, als alles schon wieder vorbei war.

Die Dorfbewohner
Auch hier spielt Leonie Swann mit Stereotypen, was die Senioren-WG noch schillernder erscheinen ließ. Und um Längen sympathischer.

Die Geschichte.

Leonie Swann ist bekannt für ihre Kriminalromane mit tierischen Ermittlern. Standen in „Glennkill“ und Garou“ noch vollkommen das Schaf Miss Maple und ihre wollige Herde im Mittelpunkt, so bekam Graupapagei „Gray“ im gleichnamigen Roman schon einen etwas zerstreuten, professoralen Gegenpart an die Seite gestellt. In „Mord in Sunset Hall“ nimmt Schildkröte Hettie eher die Rolle des Sidekicks ein, die sie sich auch ein bisschen mit dem treuen Wolfshund Brexit teilen muss.

Doch Leonie Swann kann auch menschliche Ermittler, das hat sie für mich mit „Mord in Sunset Hall“ bewiesen.
Der Fall um die toten älteren Damen war an manchen Stellen zwar etwas behäbig, aber das hat ihm nicht geschadet. Auch wurden einige bekannte Kriminalromanmotive verarbeitet, und an manchen Stellen war das Ende gut zu erahnen, dennoch war es für mich Cosy Crime Unterhaltung auf höchstem Niveau, was besonders an den Charakteren und der Einarbeitung der Thematik rund um das Altwerden lag.
So humorvoll, liebenswert und tüddelig die Senioren daher kommen, so ernst ist der Hintergrund. Es werden existenzielle Fragen aufgeworfen: wie sollte ein selbstbestimmter Lebensabend aussehen, wie werden Senioren von der Gesellschaft gesehen, ist ein Seniorenheim für jeden das Richtige, mit welchen Vorurteilen haben ältere Menschen zu kämpfen, welchen Einschränkungen müssen sie ins Auge blicken … die Liste ist lang. Trotz oft aufkommender Situationskomik wurden die altersbedingten Probleme respektvoll und ohne erhobenen Zeigefinger dargestellt und natürlich in die Geschichte eingewoben. Besonders schön fand ich, wie jeder der Senioren etwas zum Alltag beigetragen hat: Agnes zum Beispiel ist zwar nicht mehr ganz so gut zu Fuß, hält aber alles zusammen; Edwina ist die meiste Zeit verwirrt, aber die gute Seele, sehr beweglich und kümmert sich um Hettie; der Marschall versinkt manchmal gedanklich im Nebel, aber sorgt übers Internet für Toilettenpapier. Ein bisschen Potenzial blieb für mich noch ungenutzt, und das betrifft die Vergangenheit der Senioren. Diese wurde nur angerissen, scheint aber bei allen so spannend zu sein, dass sie für mehrere Bücher reicht. Aber wer weiß, vielleicht treffen wir Agnes und ihre Mitbewohner in einem anderen Buch wieder.

Das Fazit.

Wieder einmal habe ich von Leonie Swann genau das bekommen, was ich mir von einem guten Kriminalroman wünsche: ein vielschichtiger, spannender Fall, liebevoll gezeichnete, sympathische Figuren und ein unaufgeregter Schreibstil, der mich dennoch mitten in das englische Dorfleben gezogen hat. Ein unterhaltsamer Cosy Crime, der als warmherzige Mischung aus Golden Girls, Miss Marple und Inspector Barnaby daherkommt, auch mal ernstere Töne anschlägt und zum Nachdenken anregt.


Fakten

(Werbung, Rezensionsexemplar)

Verlag: Goldmann

Erscheinungsdatum: 25.05.2020

ISBN: 9783442315567

Preis: 20,- €

gebundene Ausgabe, 448 Seiten

weitere Formate: eBook und Hörbuch

Genre: Kriminalroman

Über die Autorin

Leonie Swann, geboren 1975 in der Nähe von München, studierte Philosophie, Psychologie und Englische Literaturwissenschaften. Mit ihren ersten beiden Romanen „Glennkill“ und „Garou“ schrieb sie sich nicht nur in die Herzen der Leser, sondern auch auf die Bestsellerlisten. Inzwischen wurden sie in bisher 25 Sprachen übersetzt. Die Autorin lebt heute in England.


Dieses Buch wurde mir als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Dies beeinflusst meine Meinung nicht. Vielen Dank für das Rezensionsexemplar an das Bloggerportal der Verlagsgruppe Random House und den Goldmann Verlag.

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