Rezension | Jess Kidd – Die Ewigkeit in einem Glas
„Zum ersten Mal kann sie die Sterne sehen!
Sie lächelt zu ihnen hoch, und die Sterne schauen zu ihr herab und erschaudern.
Dann beginnen sie, heller zu leuchten, mit einem erneuten Fieber, im tiefen, dunklen Ozean des Himmels.“
Inhalt
London, 1863.
Bridie Devine ist eine bemerkenswerte Frau. In einer Zeit, in der die meisten Berufszweige den Männern vorbehalten sind, verdingt sie sich in gleich zwei von diesen. Bridie arbeitet nicht nur als Privatdetektivin, sie kann auch kleinere medizinische Eingriffe durchführen.
Ihr neuer Auftrag wirft gleich zum Anfang viele Fragen auf. Die Detektivin soll die kleine Tochter eines Adligen wiederfinden, die auf mysteriöse Art und Weise aus ihrem Zimmer verschwunden ist.
Doch warum scheint es so, als würde weder der windige Hausarzt, noch die bemerkenswert feindselige Dienerschaft oder gar der sehr nervöse Vater die kleine Christabel wiederfinden wollen? Und warum stößt Bridie nicht nur auf eine Mauer aus Schweigen bei ihren Ermittlungen, sondern auch auf den Menschen aus ihrer Vergangenheit, den sie nie wiedersehen wollte? Und warum in aller Welt wird sie eigentlich die ganze Zeit von einem Geist begleitet?
Meinung
Das Cover.
Die Cover der Bücher von Jess Kidd sind immer ein bisschen wie ein Suchbild. Auf den ersten Blick ansprechend und auf den zweiten findet man Kleinigkeiten, die alle mit der Geschichte in Zusammenhang stehen. Da es der erste ihrer Romane ist, der in die historische Richtung geht, ist der Stil des Covers ein bisschen anders als der der Vorgänger. Es kombiniert zentrale Elemente der Story und ich habe das Gefühl, jedesmal etwas Neues entdecken zu können.
Der Stil.
Der Schreibstil von Jess Kidd ist etwas Besonderes, etwas schwer zu Vergleichendes. Leichte poetische Worte treffen auf düstere, vulgäre Brutalität. Das führt bei mir immer dazu, dass ich ein wenig Zeit brauche, um mich der Geschichte anzunähern und auch Pausen beim Lesen einlege – aber meine Begeisterung für Jess Kidd bricht einfach nicht ab.
Das Setting.
Das viktorianische London. Mit diesem Setting hat man bei mir schon immer einen Vorteil. Ich liebe London als Stadt und Kriminalromane im viktorianischen Zeitalter haben es mir besonders angetan. Doch auch die Ausflüge, auf die Bridie während ihrer Ermittlungen gehen muss, bergen einen gewissen Reiz, da die Orte immer ein besonderes Flair haben.
Die Charaktere.
Bridie Devine
Eine undurchschaubare junge Frau, die sich (fast) allein durch die Welt schlägt. Bridie versucht niemanden zu brauchen, möchte aber gebraucht und anerkannt werden. Sie ist unerschrocken und mutig, aber versucht dennoch Risiken einzuschätzen. Ihre einzige Vertraute ist ihre Haushälterin, die eigentlich eher eine Freundin ist, verbunden durch Vertrauen und die Hilfe, die Bridie der älteren Frau zukommen hat lassen.
Ruby Doyle
Ein bekannter Boxchampion. Und ein Geist, also tot. Wie er gestorben ist, ist sein Geheimnis. Was ihn mit Bridie verbindet, auch. Aber dass es etwas gibt, ist klar, denn warum sonst sollte er sie beschützen wollen?
Die Geschichte.
Die Geschichten von Jess Kidd sprengen Genregrenzen und sind für mich ein Garant für spannend-schaurige Unterhaltung. So ist es auch mit „Die Ewigkeit in einem Glas“. Die Mischung aus Kriminal- und Schauerroman trifft hier zusätzlich noch auf ein historisches Setting, was mir persönlich richtig gut gefiel. Die Atmosphäre ist düster, leicht bedrohlich und ich hatte beim Lesen das Gefühl mich selbst manchmal umgucken zu müssen oder mich tiefer in die Decke zu kuscheln, da mir doch ein wenig fröstelte. Besonders das Unbekannte, die Fragen, die das Verschwinden von Christabel aufwerfen oder auch Bridies etwas durchscheinende Geister-Begleitung machen die Geschichte zu einem Erlebnis.
Die Einwebung alter irischer, recht unbekannter Sagen hat mich zusätzlich auf eine kleine Spurensuche geschickt, denn ich musste gleich mal recherchieren, was es damit auf sich hat. Durch diese Legenden treffen innerhalb der Geschichte oft der noch unter der Oberfläche vorherrschende Aberglaube und die Anfänge des Fortschritts aufeinander. Bridie selbst trägt auch dazu bei, da sie immer wieder versucht, aus der gewohnten Stellung der Frau auszubrechen – sei es durch ihren Beruf als Detektivin, ihren Lebensstil oder ihr Interesse für Medizin. Sie ist als Protagonistin wundervoll ausgearbeitet, aber auch die Nebencharaktere bringen allesamt interessante Charakterzüge mit.
Diese Liebe zum Detail erweckt die Geschichte und das viktorianische England zum Leben. Das Gefühl, Bridie über die Schulter blicken zu können, ist manchmal ein wenig überwältigend und die Detailverliebtheit lässt einen manchmal auch ein wenig verwirrt zurück. Dagegen sollen die Zeitsprünge wohl ein wenig helfen, da sie die Zusammenhänge erklären und lose Fäden verweben. Da sich aber erst am Ende der Nebel lichtet, ist es stellenweise nicht gerade hilfreich.
Außerdem sind die Beschreibungen der Vorfälle und der medizinischen Eingriffe nicht unbedingt etwas für schwache Nerven oder empfindliche Mägen.
Das Fazit.
Jess Kidd hat mich auch mit ihrem dritten Roman vollkommen in den Bann gezogen. Die gekonnte Vermischung von historischem Kriminalroman und Gothic Novel, der Schauplatz im viktorianischen England und die starke Persönlichkeit der Protagonistin Bridie wissen zu überzeugen.
Ein atmosphärisch-schauriges Lesevergnügen für lange Leseabende.
Fakten
(Werbung, unbezahlt)
Originaltitel: Things in Jars
Verlag: DuMont
Erscheinungsdatum: 08.11.2019
ISBN: 9783832181055
Preis: 22,- €
gebundenes Buch, 400 Seiten
weitere Formate: eBook und Hörbuch
Genre: historischer Kriminalroman, Mystery
Über die Autorin
Die 1973 in London geborene Jess Kidd verbrachte den Großteil ihrer Kindheit an der irischen Küste. Sie studierte Literatur und arbeitet als Autorin. Ihr Debütroman „Der Freund der Toten“ war 2017 auf der Krimibestsellerliste.