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Rezension | Tamsyn Muir – Ich bin Gideon

„Gideon wusste vor allem eins über Nekromanten, nämlich, dass sie machtversessen waren. Thanergie – Todessaft – gab es überall dort reichlich, wo irgendetwas starb oder schon gestorben war. Der Weltraum war ein Albtraum für jeden Nekromanten, weil dort draußen noch nie etwas gelebt hatte […]“


Inhalt

Gideon Nav lebt auf einem Planeten voller knöchriger Nonnen, steifer Regeln und schwarzer Klamotten. Ihr einziger Lichtblick ist ihre Kampfausbildung und die Aussicht, irgendwann fliehen zu können, doch das ist leichter gesagt als getan.
Als Harrow, die Erbin des Neunten Hauses, zum Palast des Herrschers über alle Planeten gerufen wird und Gideon sie als Strafe für einen weiteren gescheiterten Fluchtversuch als ihre Schwerthand begleiten soll, beginnt ein Wettkampf auf Leben und Tod. Um den Untergang ihrer Heimat zu verhindern, müssen Gideon und Harrow zusammenarbeiten, und das, obwohl sie sich abgrundtief hassen …


Meinung

Das Cover

Inzwischen spielt das Cover in meinen Rezensionen eine sehr untergeordnete Rolle, doch bei „Ich bin Gideon“ möchte ich ein paar Worte darüber verlieren.

Ich finde es sehr schade, dass das englische Cover verändert und angepasst wurde, indem die Skelette und Knochen herausgenommen wurden. Die Kombination zwischen dem Sternenhimmel, der endlosen Schwärze, der Person und den Knochen fängt die Stimmung des Buches sehr viel besser ein als es das deutsche Cover kann. Mir ist bewusst, dass diese Anpassung wahrscheinlich auf den deutschen Mark zugeschnitten ist, dennoch denke ich, dass man den Lesern hierzulande auch mal ein bisschen mehr zutrauen kann und dass auch die Verlage sich in dieser Hinsicht mehr trauen könnten. Vielleicht überrascht man sich ja mal gegenseitig.

Der Stil. 

„Ich bin Gideon“ hat mich auf vielen Ebenen überraschen und überzeugen können. Der Stil ist einer dieser Aspekte. Die Mischung auf Science Fiction, Dark Fantasy und Horror hat es mir sehr angetan und mich richtig gut unterhalten.

Die Atmosphäre ist düster, aber dennoch nicht ruhig, sondern eher spannungsgeladen, an manchen Stellen habe ich so ein leichtes Comicfeeling bekommen. Das Erzählpacing ist schnell, fast rasant und der Spannungsbogen bleibt recht hoch, da selbst die ruhigeren Stellen immer diesen gewissen Unterton haben. Die Sprache an sich kann sehr gewöhnungsbedürftig sein, wenn man in dieser Hinsicht zart besaitet ist, eher derb, rau und roh, und als Stilmittel werden zusätzlich noch Unhöflichkeit, schillernde Beleidigungen und eine pervers-vulgäre Ausdrucksweise benutzt. Aber auch ein sarkastischer Unterton ist fast immer vorhanden, was die ganze Geschichte ein bisschen aufheitert, in Ermangelung eines besseren Wortes.

Ein weiteres Stilmittel, das ich noch erwähnen möchte, ist der Filter, durch den der Leser alles erfährt. Man befindet sich im Kopf der Protagonistin, Gideon Nav, und diese ist eine Leibeigene des Neunten Hauses, des wohl abgelegensten und einsamsten Haus, das man als junger Mensch bewohnen kann. Sie hat keine großartige Bildung genossen, besonders nicht hinsichtlich des Planetensystems und der Nekromantie, denn sie selbst hat daran weder ein großes Interesse, noch irgendwelche Begabungen in diese Richtung. Der Leser erkundet alles durch ihre Augen und dadurch werden die Informationen zum Aufbau der Welten auch ordentlich gefiltert. Vieles muss man sich selbst zusammenreimen und zwischen den Zeilen lesen, die Autorin nimmt den Leser nicht an die Hand, im Gegenteil, sie schmeißt ihn ohne Gewissensbisse ins All.

Das Setting.

Das Worldbuilding von „Ich bin Gideon“ ist einer der Gründe, warum mir dieser Auftaktband so gut gefallen hat.
Tamsyn Muir ist eine spannende Welt, eigentlich mehrere Welten, gelungen. Das Sonnensystem und die neun Häuser, die es gibt, sind an unser bekanntes System und die neun Planeten angelehnt und nutzen auch Eigenschaften, die ihnen aus der Astrologie nachgesagt werden. Und ich hätte nie gedacht, dass ich das als Erwachsene mal sagen würde: wer Sailor Moon geschaut hat, wird hier auch einiges wiederfinden. Auch wenn es alles sehr viel düsterer und vollkommen verdreht ist, so als hätte man eine gruselige Puppe vor sich die auch noch falsch zusammengesetzt wurde.
Das Magiesystem habe ich auch nach Abschluss des Buches noch nicht in Gänze verstanden, aber das finde ich nicht schlimm, da diese Nekromantie nicht nur enorm vielfältig ist, ich habe das Gefühl, dass in diesem Auftaktband nicht ansatzweise die gesamte Bandbreite gezeigt wurde. Der vorherrschende Nekromantenkult ist auf allen Planeten vertreten, dadurch gibt es gesellschaftliche Systeme, Bräuche und religiöse Vorstellungen, die das ganze System umfassen, die aber auf den einzelnen Planeten noch Anpassungen erfahren haben. Die allgegenwärtige Morbidität, Totenkult, Skelettmagie und den Umgang mit dem Tod und dem Leben danach, das hat für mich alles nochmal spannender gemacht, ich habe mich wie ein kleines Kind gefühlt, das mit leuchtenden Augen alles erkunden will. Der Filter und damit die beschränkten Informationen, die ich durch die Perspektive von Gideon erhalten habe, haben mein Interesse noch zusätzlich angefacht. Das mag definitiv nicht was für jeden Leser sein, ich kann mir vorstellen, dass gerade die Aspekte, die ich gerade nannte und die ich ganz zauberhaft finde, für andere große Kritikpunkte sein können.

Die Charaktere.

„Nonagesimus, hör auf, dich wie eine Mischung aus schwarzer Vestalin und panischer Fledermaus aufzuführen […]“

Gideon Nav
Leibeigene des Neunten Hauses. Waise, Mutter als Flüchtling früh verstorben, Vater wohl auch, ist aber unbekannt. Neben Harrow die jüngste Bewohnerin des Planeten.
Sie ist schnoddrig, aufmüpfig, mit einer sarkastisch-morbiden Ader und an manchen Stellen hat man das Gefühl, dass sie auch noch nicht allzu lange aus dem Teeniealter raus ist. Gideon ist aber auch stark, mutig und ziemlich Badass. Manchmal auch erstaunlich einfühlsam, auch wenn sie versucht diese etwas weichere Seite an sich durch ihre Ausdrucksweise zu überspielen.
Gideons unbekannte Herkunft und auch diverse ihrer Eigenschaften wurden in diesem Buch nur angeteasert, ich hoffe sehr auf die Folgebände, denn ich habe Fragen. Und derer viele.

Harrowhark Nonagesimus
Die Tochter der Herrscher des Neunten Hauses, und einzige Erbin.
Sehr intelligent und verschlossen, aber ebenso stark und verantwortungsbewusst. Ihre Loyalität gilt ihrem Haus und sich selbst, das prägt ihr gesamtes Handeln. Sie ist eine begabte Nekromantin und selbst für eine Anhängerin eines Totenkultes erstaunlich morbid und düster.

Im Lauf der Geschichte trifft der Leser auf viele weitere Charaktere, in der Zeit des Wettkampfes sind es um die 25 Charaktere, die ständig auftauchen und die man überblicken muss. Dazu kommt, dass es hier auf den ersten Blick keine wirklich Sympathieträger gibt, denn alle sind geprägt durch die Düsternis und die Härte des Kultes. Mir haben beide Aspekte riesige Freude bereitet, da mich diese Komplexität zwar gefordert hat, aber auch ein befriedigendes Gefühl beim Lesen hinterlassen hat.

Die Geschichte.

Tamsyn Muir hat mit Gideons Geschichte einen sehr interessanten Auftaktband geschaffen, der mich überraschen konnte und das über die gesamte Länge des Buches. Und mich fassungslos zurückgelassen hat.
Was ich kurz anmerken möchte: „Ich bin Gideon“ kann gut für sich allein stehen. Wenn man nicht wie ich alle Fragen beantwortet haben möchte, dann kann man, zumindest meiner Ansicht nach, auch mit dem Ende zurecht kommen und damit abschließen.

Die Geschichte an sich kann man nur mit einer ausufernden Menge an Worten beschreiben: abgefahren, phantastisch, düster, brutal, abstrus und skurril. Pervers und vulgär sollte auch nicht vergessen werden. Ach, und moralisch werden hier auch Grenzen ausgelotet. Als Leser muss man sich sehr stark in die Welt fallen lassen können und auf die Story einlassen. Viele Elemente der Geschichte werden nicht erklärt, ich habe sehr viel auf meine eigene Fantasie gesetzt, um mir die Welt zusammen zu setzen. Ich habe mich einfach treiben lassen und mich komplett auf die Charaktere eingelassen. Ein bisschen war es wie loslassen.

An manchen Stellen ist „Ich bin Gideon“ fast erdrückend und es erscheint von allem etwas zu viel zu sein. Zu viel Sarkasmus, zu viel vulgäre Ausdrücke, zu viel Tod, einfach zu viel, man verliert sich dabei dann auch ein wenig. Dadurch dass die Story an sich, der Kampf der Häuser, diese Wettbewerbssituation, eher schlicht ist und ein starken roten Faden darstellt, konnte ich mit dieser Übertreibung aber gut leben. Und dieses Drumherum macht das Buch eben zu diesem besonderen Leseerlebnis, das ich so genossen habe.

Das Fazit.

Machthungrige, morbide Nekromanten in einem abgefahrenen und ziemlich verrückten Science Fiction Setting treffen auf rasante Action, eine Menge Blut und noch viel mehr Skelette. Dazu noch ein ausgeklügeltes Magiesystem, ein enorm komplexer Weltenbau und skurrile Charaktere. Ein phantastisches, düsteres Lesevergnügen der besonderen Art!


Fakten

(Werbung, unbezahlt)

Reihe: The Locked Tomb Trilogy, Band 1 von 3

Originaltitel: Gideon The Ninth

Verlag: Heyne

Erscheinungsdatum: 13.04.2020

ISBN: 9783453423732

Preis: 14,99 €

Taschenbuch, 608 Seiten

weitere Formate: eBook und Hörbuch

Genre: Science Fiction, Dark Science Fantasy

Übersetzung: Kirsten Borchardt

Über die Autorin

Tamsyn Muir wurde 1985 in Australien geboren und ist in Neuseeland aufgewachsen. Sie ist studierte Pädagogin und lebt inzwischen in Oxford, England. Muir ist eine own voices Autorin im LGBTQ-Bereich. Ihre Kurzgeschichten wurden mehrfach nominiert und auch ihr Debütroman „Ich bin Gideon“ war Anwärter für renommierte Phantastikpreise.


Zitat 1: Seite 76

Zitat 2: Seite 313

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