Kurzrezension | Ken Liu (Hrsg.) – Zerbrochene Sterne. Erzählungen.
Inhalt
„Zerbrochene Sterne“ versammelt namhafte und unbekannte chinesische Science-Fiction-Autoren in einer Anthologie.
Ausgewählt wurden die Kurzgeschichten durch Ken Liu, einem sinoamerikanischen Schriftsteller, der mit seinen eigenen Kurzgeschichten unter anderem den Hugo Award gewann. Seit seiner Übersetzung von Cixin Lius Werken in die englische Sprache setzt er sich für die Sichtbarkeit chinesischer Science-Fiction in den westlichen Ländern ein. „Zerbrochene Sterne“ ist die zweite Kurzgeschichtensammlung, die er herausgegeben hat.
Die Geschichten wurden durch Ken Liu ausgewählt und spiegeln dadurch nicht nur die unterschiedlichsten Spielarten von SciFi und Phantastik wieder, sondern auch den Geschmack des Herausgebers.
Dadurch versammeln sich nicht nur Erzählungen bekannter Autoren wie Cixin Liu und Hao Jingfang zwischen den Buchdeckeln, auch aufstrebende AutorInnen wie Regina Kanyu Wang und Anna Wu sind vertreten.
Außerdem erwarten den Leser drei Essays, in denen über die Stellung der Science-Fiction-Literatur in China berichtet wird.
Meinung
„Zerbrochene Sterne“ war für mich eine Art Experiment. Seit mein Interesse an Science-Ficiton-Literatur immer weiter wächst, bin ich um die Bücher von Cixin Liu herumgeschlichen. Da ich aber nicht wusste, ob mir chinesische Literatur in diesem Genre überhaupt gefällt, kam mir die Anthologie zum Ausprobieren gerade recht.
Gleich der Einstieg hat mich richtig neugierig gemacht, denn Ken Liu gibt im Vorwort unumwunden zu, dass es ihm nicht um ein Best of chinesischer SciFi geht. Er hat die Geschichten nach seinem eigenen Geschmack ausgewählt und handelt auch nach dem Motto, dass eine Erzählung nicht perfekt sein muss, um gefallen zu können. Und er hatte Recht.
Eigentlich dachte ich, ich lese mal rein und lasse mir Zeit dabei, nehme es immer mal wieder zur Hand. Daraus wurde dann ein Durchsuchten des Buches, denn ich wollte es nicht mehr aus der Hand legen. Ich hatte eine solche Freude an den unterschiedlichen Geschichten, an den verschiedenen Ideen und Visionen. Es waren, wie es in Anthologien nun mal so sein kann, auch welche dabei, die mich nicht ganz so überzeugt haben. Dennoch ist mein Gesamteindruck komplett positiv und meine Erwartungen wurden übertroffen. Die Erzählungen laufen quasi über an Ideenreichtum, an Fantasie und Gedankenspielereien, die zum Nachdenken anregen. Sie sind alle einzigartig und faszinierend auf ihre eigene Art und Weise.
Technische Visionen treffen auf philosophische Überlegungen, deprimierende Endzeitstimmung trifft auf zarte Hoffnungsschimmer, unverhohlene Gesellschaftskritik verbindet sich mit traditionellen Elementen. Überspannt wird das alles von einer sehr biegsamen Interpretation der Zeit und bildgewaltiger Sprache.
Für alle Liebhaber von Science Fiction, die auch vor phantastischen Elementen nicht zurückschrecken und für Leser wie mich, die einfach mal einige chinesische Vertreter des Genres kennenlernen wollen.
Zum Schluss möchte ich noch kurz auf ein paar der Geschichten eingehen, die mir besonders gut gefallen haben.
Gleich der Einstieg von Xia Jia mit „Gute Nacht, Traurigkeit“ hat mich tief berührt. Die Roboterhelferlein, die hier beschrieben werden, und der Protagonistin zur Seite stehen, sind auf ihre eigene Art allerliebst und die Idee dahinter gleichzeitig tröstlich wie traurig.
„Mondnacht“ von Cixin Liu ist zwar recht kurz, aber sehr intensiv und eindrücklich. Ein junger Mann erhält mitten in der Nacht einen Anruf aus der Zukunft und soll eine Katastrophe verhindern. Daraus ergibt sich ein spannendes Gedankenexperiment, das mich neugierig auf weitere Geschichten des Autors gemacht hat.
Die namengebende Geschichte „Zerbrochene Sterne“ von Tang Fei hat mich ein wenig verwirrt zurückgelassen. Doch je länger ich mich mit ihr beschäftigt habe, desto besser gefiel sie mir. Die Sterne und ihre Konstellation nehmen einen zentralen Raum in der Erzählung um ein Mädchen ein, welches von ihrem Vater fast schon überwacht und von ihren Mitschülern gemobbt wird.
„Großes steht bevor“ von Baoshu ist eher eine Novelle und damit recht umfangreich. Der Autor spielt hier mit einer Idee, die ich erstmal ein wenig verdauen musste. Er lässt die Menschen sich zwar nach vorn entwickeln, aber kehrt diverse andere äußere Umstände um. Dadurch wird ein Spannungsfeld geschaffen, dass mich sehr gefesselt hat.
Meine beiden liebsten Geschichten waren aber „Das Restaurant am Ende des Universums: Laba-Porridge“, das eine offene Hommage an die Romane von Douglas Adams ist und mir beim Lesen einfach enorme Freude bereitet hat, und „Des ersten Kaisers liebstes Spiel“ von Ma Boyong. Die Referenzen zu bekannten Computerspielen sind einfach großartig, aber auch wahrscheinlich die größte Schwäche der Erzählung. Denn der Humor geht vermutlich an Lesern vorbei, die mit Computerspielen nichts am Hut haben.
Fakten
(Werbung, unbezahlt)
englischer Titel: Broken Stars
Verlag: Heyne
Erscheinungsdatum: 09.03.2020
ISBN: 9783453320581
Preis: 16,99 €
Klappenbroschur, 672 Seiten
weitere Formate: eBook
Genre: Anthologie, Science Fiction
Die Autoren und ihre Geschichten
Erzählungen
- Xia Jia
Gute Nacht, Traurigkeit - Cixin Liu
Mondnacht - Tang Fei
Zerbrochene Sterne - Han Song
U-Boote
Salinger und die Koreaner - Cheng Jingbo
Der herabhängende Himmel - Baoshu
Großes steht bevor - Hao Jingfang
Der Neujahrszug - Fei Dao
Der Roboter, der gerne Quatsch erzählte - Zhang Ran
Der Schnee von Jinyang - Anna Wu
Das Restaurant am Ende des Universums: Laba-Porridge - Ma Boyong
Des ersten Kaisers liebstes Spiel - Gu Shi
Spiegelbild - Regina Kanyu Wang
Brainbox - Qiufan Chen
Das Licht
Eine kurze Geschichte zukünftiger Krankheiten
Essays
- Regina Kanyu Wang
Kurze Einführung in die chinesische Science-Ficiton-Literatur und die Fan-Szene in China - Mingwei Song
Ein neuer Kontinent für Literaturwissenschaftler: Studien zur chinesischen Science-Fiction - Fei Dao
Das Schamgefühl ist überwunden