Allgemein

Die Symbolik der Grimm-Chroniken. Teil III – Das Böse.

„Es ist alles eine Frage der Perspektive, denn das Böse ist Ansichtssache.“

Das Böse ist ebenso geheimnisvoll wie sein Wortursprung. Bis zum althochdeutschen „bosi“ und dem germanischen „bausja“ lässt es sich zurückverfolgen, alles andere davor liegt im Dunkeln. (1) Dennoch ist es seit Urzeiten der Gegenpart zum Guten und damit ein zentraler Punkt von Forschung, Literatur, Mythologien und Religion. Doch was ist das Böse eigentlich?

Im Großen und Ganzen wird das Böse als das angesehen, was falsches Handeln hervorruft, besonders in moralischer Hinsicht. Es ist der Inbegriff alles Schlechtem, allen Übels, dem Zuwiderhandeln jeder guten Moral.

Doch gerade der letzte Aspekte ist es, der eine einwandfreie Identifizierung des Bösen fast unmöglich macht. Denn nicht nur die Philosophie, auch die Religionen kommen nicht auf einen gemeinsamen Nenner, was denn nun als uneingeschränkt richtig oder falsch anzusehen ist. Je nach philosophischer Strömung sind die Unterschiede sogar recht eklatant. Selbst über den Ursprung ist sich niemand einig, beim Guten scheint es einfach zu sein. Relativ oft wird aber der freie Wille des Menschen als Wurzel des Bösen angesehen. Oder als Erbsünde. Je nachdem. Fast immer ist es aber substanzlos, hat keine eigene Gestalt, es ist einfach da. Dort, wo eigentlich das Gute sein sollte, aber fehlt. Das lässt den Schluss zu, dass dies überall der Fall sein kann. In jedem Menschen. Dort wo das Gute schwindet, lauert das Böse schon im Schatten und wartet auf seine Gelegenheit die Lücke auszufüllen. Doch woher soll man wissen, dass es das Böse ist? Und nicht nur eine andere Auffassung von Gut?

Jede Ansicht über das Böse, seine Herkunft und sein Aussehen zusammenzutragen, würde wahrscheinlich eine ganze Bibliothek füllen können.
Glücklicherweise haben sich die Gebrüder Grimm in ihren Märchen etwas zurückgehalten und nur einige Seiten gefüllt. Auch sie haben viele Erscheinungsformen des Bösen zusammengetragen, doch einige Motive tauchen immer wieder auf. In den klassischen Volksmärchen der Grimms ist es von essentieller Bedeutung, dass Gut und Böse voneinander getrennt werden kann und eine eindeutige Unterscheidung möglich ist. Es geht nicht darum, warum das Böse eigentlich böse ist, ob es gute Gründe für das Handeln gibt oder nicht, das Gute muss grundsätzlich über das Böse triumphieren, egal in welcher Art und Weise.

Die Hexe ist wohl eines der beliebtesten Motive für das Böse, auch in den Grimm’schen Märchen.
Ihr Aussehen wird recht ausführlich beschrieben. Sie kann sich zwar verstellen, auch äußerlich, aber ihre eigentliche Erscheinung ist fast immer gleich: eine alte, gebeugte Frau, die oft einen Stock zum Gehen benötigt. Sie hat dürre, lange Finger und eine ebenso lange Nase. Manchmal bekommt sie auch noch rote Augen und kann Menschen wittern – Eigenschaften, die eigentlich keinen Menschen auszeichnen, sondern ein Raubtier, etwas, das die Verbindung zum Bösen unterstreichen soll.

Auch ihr Charakter ist wahrlich nicht das, was man einem netten Menschen nachsagen würde. Hexen sind immer böse, sie denken von sich sehr hoch und setzen alle anderen hinab. Warum das aber so ist, wird in den wenigsten Märchen beantwortet. Eine der Ausnahmen ist die Hexe in „Hänsel und Gretel“, die ihre bösen Taten vollbringt, weil sie eine Kannibalin ist.

Besiegt wird die Hexe am Ende immer, nur der Weg dahin ist unterschiedlich. Der Held des Märchens ist es zwar immer selbst, manchmal mit ein bisschen Hilfe, aber der Niedergang jeder Hexe ist so individuell, wie sie alle gleich erscheinen. In vielen Fällen nutzt der Held eine Schwäche der Hexe aus, wie es Gretel macht, als sie die Hexe in den Ofen stößt. Doch die Hexe hat immer noch eine Besonderheit in den Märchen – sie ist nicht unbedingt der Antagonist in der Geschichte.

Ganz anders sieht es bei der Stiefmutter aus. Sie ist die ultimative Antagonistin in den Märchen der Grimms. Sie ist das Böse in Person. Das fängt schon bei ihrer Einmischung in ein meist glückliches Familienleben an. Das Kind oder die Kinder haben keine Wahl als mit der neuen Frau ihres Vaters zu leben, der meist nicht so gut dabei wegkommt – er wird entweder komplett unterdrückt, lässt sich täuschen, ist fast immer abwesend oder er stirbt.

Ihr Äußeres ist nie wirklich greifbar, sie kann genauso gut schön oder hässlich sein. Vermutlich wird sie aber etwas Anziehendes an sich haben, da sie ja die neue Frau in der Familie wird und oft die Frau des Königs oder eines wohlhabenden Mannes ist. Das, was an der Beschreibung des Erscheinungsbildes gespart wird, wird dafür in die Ausarbeitung der Motive gesteckt. Die Stiefmutter ist so gut wie immer auf irgendetwas neidisch. Der Neid ist eine treibende Kraft, ebenso wie das Streben nach Macht und Einfluss.

Entgegen aller Erwartungen, wird die Stiefmutter nicht immer am Ende des Märchens bestraft. Ihre Taten bleiben zwar nicht ohne Folgen, aber oft wird sie am Leben gelassen und verschwindet in der Versenkung.

Ein weiteres beliebtes Motiv des Bösen ist die Mischung der beiden vorherigen Figuren. Die Hexe und die Stiefmutter verschwimmen zu einer Person, die die Eigenschaften in sich vereint.

Doch welcher Art des Bösen stehen Will und seine Freunde in den Grimm-Chroniken gegenüber? Denn schon am Anfang erfahren sie, dass nicht immer alles so ist, wie es scheint.

„Dieses Buch beginnt nicht mit Es war einmal, denn auf diese Weise fangen all die Lügen an, die Jacob und Wilhelm in die Welt gesetzt haben.“

 


Infos

| Anzeige |

Die „Grimm-Chroniken“ sind eine monatlich erscheinende Reihe der Autorin Maya Shepherd.

Die erste Staffel, welche 13 Bände umfasst, ist inzwischen abgeschlossen. Die zweite Staffel startet im Herbst.
Im Folgenden bekommt ihr von mir eine Auflistung der Bände, außerdem habe ich euch meine Rezensionen verlinkt.

  1. Die Apfelprinzessin
  2. Asche, Schnee und Blut
  3. Der schlafende Tod
  4. Der Gesang der Sirenen
  5. Der goldene Apfel
  6. Der Tanz der verlorenen Seelen
  7. Das Aschemädchen
  8. Dornen, Rosen und Federn
  9. Die verbotene Farbe
  10. Der schwarze Spiegel
  11. Träume aus Gold und Stroh
  12. Das Mondmädchen
  13. Die Vergessenen Sieben


Quellen:

(1): Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 

Bild 1: Copyright „Epic Moon – Coverdesign

Bild 2: Copyright „The Artsy Fox

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert